Dienstag, 18.02.2025

Antikörper bekämpfen inoperablen Darmkrebs

St. Franziskus-Hospital wendet bei besonderer genetischer Veranlagung neue Therapieform an

Als bei Heike Stalliviere im November 2024 ein Kolonkarzinom diagnostiziert wird, ist der Krebs bereits sehr weit fortgeschritten. Der Tumor sitzt am Übergang vom Dünn- zum Dickdarm und droht, den Darm komplett zu verschließen. Vorsorglich wird ein künstlicher Darmausgang gelegt. Während dieser Operation zeigt sich, dass der Tumor bereits in seine Umgebung eingewachsen und deshalb nicht sinnvoll operabel ist.

Dr. Cord Rehmsmeier (links), Oberarzt der Klinik für Hämatologie und internistische Onkologie, und Prof. Dr. Matthias Brüwer, Ärztlicher Direktor und Leiter des Darmzentrums, freuen sich mit Heike Stalliviere über den großen Erfolg der Antikörpertherapie.

Die Tumorkonferenz des interdisziplinären Zentrums für Darmerkrankungen am St. Franziskus-Hospital Münster stellt fest, dass das Karzinom zwar groß, aber lokal begrenzt ist und auch noch keine Organmetastasen gebildet hat. Und noch etwas finden die Ärzte heraus: eine Untersuchung der Tumor-DNA ergibt, dass diese in Teilen defekt ist, weshalb ein wichtiger Reparaturmechanismus nicht mehr funktioniert. Diese sogenannte Mikrosatelliten-Instabilität (MSI) kommt bei 10-15 Prozent der Darmkrebspatienten vor.

„Eine Chemotherapie ist bei Tumoren mit dieser genetischen Voraussetzung nur begrenzt wirksam“, sagt Dr. Cord Rehmsmeier, Oberarzt der Klinik für Hämatologie und internistische Onkologie. „Aber es stellte sich heraus, dass Frau Stallivieres Tumor genau die Kriterien für eine Antikörper-Behandlung gemäß einer neuen Studie aus den Niederlanden erfüllte.“

Für die ‚NICHE2‘-Studie wurden Patientinnen und Patienten mit lokal fortgeschrittenem Darmkrebs, deren Tumor-DNA den defekten Reparaturmechanismus (MSI) aufwies, vor der Operation mit zwei verschiedenen Antikörper-Medikamenten behandelt. Mit beachtlichem Erfolg. „Wir kennen die Immuntherapie bei anderen Tumorarten schon seit vielen Jahren“, so Dr. Rehmsmeier. „Beim lokal fortgeschrittenen Kolonkarzinom ist sie jedoch ganz neu.“

In der interdisziplinären Tumorkonferenz Mitte Dezember beschließen die Ärzte des St. Franziskus-Hospitals diese Immuntherapie für die Patientin aus Münster. Wenige Tage darauf erhält sie die erste Medikamentengabe, die zweite folgt zwei Wochen später. Eine Computertomografie Mitte Januar zeigt bereits eine deutliche Verkleinerung des Karzinoms. Zwei Wochen später wird die 59-Jährige mit dem roboter-assistierten Operationssystem Da Vinci® operiert.

„Das lokal inoperable Karzinom wurde durch die Antikörpergabe operabel“, freut sich Prof. Dr. Matthias Brüwer, Ärztlicher Direktor und Leiter des Darmzentrums am St. Franziskus-Hospital. „Während der minimalinvasiven Operation konnten wir das gesamte Tumorgewebe entfernen und den Darmausgang wieder zurückverlegen. Die pathologische Aufarbeitung zeigte, dass bereits keine Tumorzellen mehr nachweisbar waren.“

Heike Stalliviere konnte Mitte Februar nach Hause entlassen werden. Ihre Prognose ist gut: In der zugrundeliegenden Studie sind auch drei Jahre nach der Therapie noch immer alle Patientinnen und Patienten tumorfrei. So ist die Antikörpertherapie beim Kolonkarzinom eine bahnbrechende Chance für Betroffene, die bisher weniger Optionen hatten.

„Die neue Immuntherapie für Darmkrebspatienten ist ein riesiger Erfolg“, so Prof. Brüwer. „Das haben wir gerade eindrücklich gesehen.“ Auch wenn es immer wieder neue Durchbrüche bei den Behandlungsoptionen gibt, mahnt der Chefarzt zur regelmäßigen Krebsvorsorge: „Als bei Frau Stalliviere der Tumor in der Gastroenterologischen Gemeinschaftspraxis am Germania Campus diagnostiziert wurde, war es fast zu spät. Die beste Prognose erreichen wir durch die Früherkennung.“